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Geschichten aus dem Leseturm II

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Geschichten aus dem Leseturm II

Merseburg zwischen Russenkaserne, Strandkorb und TH

 

Leseturm Literaturkreis Merseburg. Herausgeber: Katharina Mälzer und Hans-Dieter Weber. Autoren: Regina Oversberg, Heidrun Kligge, Ingeborg Schmelz, Johanna Adler, Dietrich Werner, Philine Eschke-Scheubeck, Rüdiger Paul, Christine Winter-Schulz, Jochen Gartz, Christel Tippelt, Tilo Buschendorf, Birgit Gerlach, Katharina Mälzer, Hans-Dieter Weber, Peter Gehre

264 Seiten. ISBN 9783943519266

 

Zum zweiten Mal haben sich Merseburger Literaturfreunde und Autoren im Leseturm zusammengetan. Ihre in diesem Band zusammengefassten Geschichten spiegeln erlebtes Merseburg zwischen Kriegsende und Wende. – Viel ist zu dem Thema schon geschrieben worden. Aber am schönsten sind die Geschichten, die man selbst erlebt hat. Die Dinge, die vielleicht der Großvater seiner Enkelin erzählt. Geschichten, die ein Gefühl aus alter Zeit vermitteln, die den Blick aus verschiedener Sicht auf das gleiche Thema lenken und damit Geschichte werden. Manche Erzählungen lesen sich wie kleine Schlüsselromane. Wer, was, wo und weißt du noch? Und was die eine Geschichte nicht zu Ende erzählt, greift die nächste auf. Und wenn Sie etwas vermissen, erzählen Sie es weiter, vielleicht schreibt es jemand auf.

 

Leseprobe

Der Berlinroller
(Katharina Mälzer)

Trüb und feucht war es Anfang März 1972, als Max, ein junger Mann, gegen acht Uhr von Schkopau in Richtung Merseburg zur Arbeit fuhr. Er steuerte seinen Berlinroller behutsam über die huckeligen Bahnschienen des Bahnübergangs. Dort, wo heute ein Kreisel ist, gab es damals eine T-Kreuzung. Die gepflasterte Hauptstraße ging geradeaus nach Merseburg; würde man abbiegen, käme man nach Bad Lauchstädt. Ein Pritschenwagen mit Plane befuhr dieselbe Straße, allerdings entgegengesetzt, also aus Merseburg kommend. Im Fahrerhaus saßen der Fahrer und neben ihm ein Offizier der sowjetischen Streitkräfte. Hinten auf der Pritsche befanden sich zehn, vielleicht auch fünfzehn oder zwanzig Soldaten. Auf jeden Fall eine ganze Menge. Als sich Max auf der Kreuzung befand, bog der Laster nach links ab, ohne die Vorfahrt des Berlinrollers zu beachten. Auch wenn Max langsam fuhr, hatte er keine Chance, noch rechtzeitig zu bremsen oder anderweitig auszuweichen. Geistesgegenwärtig sprang er also vom Berlinroller und machte ein Looping. Aus den Augenwinkeln heraus sah er, wie der Laster das Zweirad überrollte. Max richtete sich auf, rieb sich seinen Ellenbogen, da, wo sein Anorak nun zerrissen war. Der Lasterfahrer merkte, daß es diesmal keine normalen Schlaglöcher waren, die die Mannschaft durchschüttelten. Er stoppte sein Gefährt. Max sah den Fahrer aussteigen, danach den Offizier. Beide guckten nach links, nach rechts, diskutierten. Nach einer für Max langen Zeit kamen noch zwei Offiziere, wahrscheinlich vom Standort Merseburg, die die Sache begutachteten. Max stand unbeachtet am Straßenrand. Ein Offizier brüllte nach hinten etwas wie давай, und Leute sprangen von der Pritsche. Vier schnappten sich das, was vom Berlinroller übrig war, und warfen es auf die Ladefläche. Jetzt tauchte ein damals unter Kraftfahrern gut bekannter Verkehrspolizist auf. Es war ein nicht so verbissener Mann, einer von der menschlicheren Art. Der kam auf Max zu, während die sowjetischen Streitkräfte mit Mann und Maus und Berlinroller abzogen. „Hör zu, mein Junge, wir können nicht viel machen. Geh erst einmal auf Arbeit und heute nachmittag kommst du auf unsere Polizeistelle. Dort können wir alles in Ruhe besprechen.“

Max zog also los, den Helm unterm Arm, auf seine Arbeitsstelle in der Weißen Mauer.

Am Nachmittag trottete Max zur Polizeistelle in der Friedrich-Engels-Straße. Der Polizist empfing ihn mit einem Lächeln, was Max Hoffnung gab. „Sei nicht traurig, Junge! Ein richtiger Motorradfahrer muß auch mal einen Unfall gehabt haben. Und dir ist ja zum Glück nichts passiert.“ Doch mußte er den Jungen enttäuschen hinsichtlich des Rollers.

Versicherung? Die greift hier nicht. Du mußt deine Ansprüche selbst mit der Roten Armee aushandeln!“ Er schrieb etwas auf einen Zettel, auf dem stand: „Klobikauer Straße, Westseite über F91, 100 m rechts; Villa, hellgelb gestrichen, Kommandantur der Roten Armee“.

Dann verabschiedete der Polizist den Jungen, indem er ihm freundschaftlich auf die Schulter klopfte.

Max überlegte. Sein Russisch war nicht gut, man könnte es auch als außerordentlich schlecht bezeichnen. Russische Buchstaben schrieb er nicht, er malte sie eher von der Tafel ab. Er benötigte einen Dolmetscher. In Gedanken ging er seine ehemaligen Klassenkollegen durch. Dann fiel ihm sein bulgarischer Freund ein, der an der TH studierte. Ja, Ivan, der würde passen.

Gesagt, getan. Wenige Tage später klopften die beiden Freunde an die Tür der schönen Villa. Die jungen Leute wurden eingelassen und in einen Raum geführt, in dem ein großer, runder Tisch stand. Auf dem nackten Holz standen Schnapsgläser. Der Raum war in eine blaue Wolke von Zigarettenrauch gehüllt. Es herrschte eine angenehme, fast gemütliche Atmosphäre. Die Russen waren freundlich und zollten Max großen Respekt. So jung und hat schon einen eigenen Dolmetscher! Man entschuldigte sich für den Unfall, man erkenne die Schuld an und wolle alles wiedergutmachen. Das Motorrad befinde sich in einer Werkstatt. Max wurde gefragt, ob er mit einem Schmerzensgeld von 200 Litern Benzin einverstanden sei. Max verschlug es die Sprache. 200 Liter! Das entsprach 300 Mark! Sein Motorroller benötigte vier bis viereinhalb Liter auf hundert Kilometer! Wie oft könnte er an den Süßen See, zum Kanal oder gar an die Ostsee zum Baden fahren. Ivan übersetzte noch, in drei bis vier Wochen würde sich die Rote Armee bei Max wieder melden. Aber das Faß solle Max stellen. Er schüttelte den Kopf. Woher sollte er ein Faß nehmen, eins mit einem Volumen von 200 Litern? Gut, lenkten die Russen ein. Aber das Fenster, wo man klopfen sollte, окно, wo man das Faß abladen müßte, das sollte Max noch nennen. Ivan fragte nach. Die Russen schienen keine Klingel zu kennen. Max nannte also ein Fenster. Zum Glück wohnte er Parterre, da war es fast egal, wo geklopft wurde.

Nach drei Wochen wurde das erste Mal geklopft. Max stieg allein zu den Russen in den Laster. Straff ging es nach Osten. Max war etwas mulmig zumute, aber er wußte, in die Richtung ging es auch nach Leipzig. In Rückmarsdorf bogen die Russen wieder einmal links ab, diesmal in einen Werkstatthof. Max sollte seinen Berlinroller begutachten. Es war eine deutsche Kfz-Werkstatt für Ladas und Motorräder, ein privater Handwerksbetrieb. Im wesentlichen war das Motorrad fertig. Max inspizierte es und bemängelte in seinem jugendlichen Leichtsinn, es fehlten die damals von ihm selbst angebauten Blinker. Der Meister meinte, das sei kein Problem, das mit den Blinkern, das mache er noch. Er lachte über Max’ Frage, ob das Motorrad denn Russenbenzin verkraften würde. Er beruhigte ihn, fahre er doch selbst nur damit. Und er hätte 600 Liter bekommen, damit er auch alle Originalteile des Motorrollers für das quasi neue Gefährt zusammensuchen konnte.

Noch im März, gegen acht am Abend, es war schon dunkel, kam fast geräuschlos ein Laster zu Max’ Wohnung gefahren. Man klopfte ein letztes Mal an das Fen-ster. Ivan und Max gingen hinaus. Vom Laster wurde ein großer Reifen geworfen, auf diesen warf man das Faß. Die Russen rollten das zerbeulte und ölverschmierte, aber dichte Faß in die Garage.

Dann holten sie ein DIN-A4-Papier hervor, gefaltet, formlos, auf dem stand: KEINE WEITEREN FORDERUNGEN AN DIE ROTE ARMEE. Nachdem Max unterschrieben hatte, zogen die Russen von dannen.

Er hatte noch nicht überlegt, wie er aus dem Faß das Benzin in seinen Tank bekam. Aber aus dem Zweiten Weltkrieg besaß sein Vater noch eine Faßpumpe.

Bald war auch der Berlinroller wieder zu Hause und Max drehte mit Ivan eine Extrarunde.

 

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