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Das Zeitalter des Überwachungskapitalismus

Shoshana Zuboff - Das Zeitalter des Überwachungskapitalismus
Shoshana Zuboff
Das Zeitalter des Überwachungskapitalismus
Überlassen wir uns der verborgenen Logik des Überwachungskapitalismus, für den Menschen nur noch Lieferanten von Verhaltensdaten sind und dessen Methoden der Verhaltensauswertung und -Manipulation unsere Autonomie bedrohen?

 

AUSZUG (Seite 595 f)
Schlussbetrachtung | 18. Kapitel: Ein Putsch von oben | Seid Sand im Getriebe

Wenn ich mit meinen Kindern spreche oder vor einem Raum voll junger Leute, versuche ich sie auf die Situationsbedingtheit dessen hinzuweisen, „was uns da in der Hand hat“, indem ich sie auf ganz gewöhnliche Werte und Erwartungen aus der Zeit hinweise, bevor der Überwachungskapitalismus seine Kampagne zu unserer psychischen Abstumpfung begann. „Es ist nicht okay, sich in seinem eigenen Leben verstecken zu müssen; das ist nicht normal“, sage ich ihnen. „Es ist nicht okay, eure Unterhaltung in der Mittagspause mit dem vergleichen von Software zu verplempern, die euch vor ständigen unerwünschten Übergriffen schützt.“ Fünf Tracker blockiert. Vier Tracker blockiert. Neunundfünfzig Tracker blockiert, Gesichtszüge unkenntlich gemacht, Stimme verstellt.

Ich versuche ihnen zu erklären, dass das Wort „Suche“ einmal eine wagemutige existenzielle Reise bezeichnete und nicht das Ertippen einer Antwort, die längst existiert; dass ein „Freund“ ein Gestalt gewordenes Mysterium ist, das sich nur auf eine Weise erschaffen lässt: von Angesicht zu Angesicht und von Herz zu Herz; dass sie beim Wort „erkennen“ nicht an Überwachung denken sollten, sondern an das Gefühl bei der Begegnung mit ihren Lieben. Ich sage Ihnen, dass es nicht okay ist, das Beste an uns von einem drakonischen Quidproquo ausgebeutet zu sehen, für das unsere Instinkte und jegliches Wissen über uns nur Faustpfand für eine Leibesvisitation unseres Lebens sind. Es ist nicht okay, jede unserer Bewegungen, Regungen, Äußerungen und Wünsche zu erfassen, katalogisieren und manipulieren, um uns dann um anderer Leute Profit willen wie eine Herde durch die Zukunft zu treiben. „Das ist alles noch ganz neu“, versuche ich ihnen zu sagen. „Es gibt dafür keine Beispiele. Ihr solltet es nicht einfach als gegeben hinnehmen, weil es einfach nicht okay ist.“

Wenn wir die Demokratie in den kommenden Jahrzehnten erneuern wollen, brauchen wir dazu das Gefühl der Entrüstung, ein Gespür für den Verlust dessen, was man uns da nimmt. Und ich meine damit nicht unsere „persönlichen Daten“. Was hier auf dem Spiel steht, ist die Erwartung seitens des Menschen, Herr über sein eigenes Leben und Urheber seiner eigenen Erfahrung zu sein. Was hier auf dem Spiel steht, ist die innere Erfahrung, aus der wir den Willen zum Wollen formen, und die öffentlichen Räume, in denen sich nach diesem Willen handeln lässt. Was auf dem Spiel steht, ist das herrschende Prinzip sozialer Ordnung in einer Informationszivilisation und unser Recht als Individuen und Gesellschaften, eine Antwort auf die alten Fragen zu finden: Wer weiß? Wer entscheidet? Wer entscheidet, wer entscheidet? Dass der Überwachungskapitalismus so viele unserer Rechte in diesen Sphären an sich gerissen hat, ist ein skandalöser Missbrauch digitaler Fähigkeiten und ihres einst grandiosen Versprechens, das Wissen zu demokratisieren und auf die Erfüllung unserer frustrierten Bedürfnisse eines effektiven Lebens hinzuarbeiten. Die digitale Zukunft ist nicht aufzuhalten, aber der Mensch und seine Menschlichkeit sollten obenan stehen.

Die Behauptung der Unabwendbarkeit weise ich jedoch zurück, und ich hoffe, Sie tun das nach unserer gemeinsamen Reise auch. Wir stehen am Beginn dieser Geschichte, nicht am Ende. Wenn wir die ältesten Fragen jetzt angehen, haben wir noch Zeit, die Zügel in die Hand zu nehmen und das Geschehen in Richtung einer menschlichen Zukunft zu lenken, die wir alle als Zuhause bezeichnen können. Ich möchte hier noch einmal Thomas Paine bemühen, der die Generationen aufrief, ihren Willen geltend zu machen, wenn illegitime Kräfte die Zukunft an sich zu reißen versuchen und wir uns einem Schicksal entgegengeschleudert sehen, das wir nicht gewählt haben:

Die Rechte des Menschen, der sich in Gesellschaft begibt, können weder vermacht, noch übertragen, noch vernichtet werden, sondern gehen auf die folgenden Generationen über; und kein Geschlecht hat die Macht, diese Erblinie gewaltsam zu durchschneiden. Wenn die gegenwärtige oder eine andere Generation Lust hat, Sklaven zu sein, so wird das Recht der folgenden Generationen zur Freiheit dadurch nicht vermindert. Ein Unrecht kann keine rechtmäßige Abkunft haben.

 

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